our daily challenge journal Tag 20
Bernd Ich rede mit Dingen, genauer gesagt rede ich mit Bernd. Bernd ist 20 Zentimeter groß, hat zwei Hände, zwei Füße und ein Gesicht. Meine Mitbewohnerin sieht das zwar anders, aber für mich ist es eindeutig so. Bernd wohnt noch nicht so lange bei uns aber er ist ein wirklich guter Zuhörer. Genauer gesagt handelt es sich bei Bernd um eine Zucchinipflanze, die wir in die Küche verfrachtet haben weil es draußen zu kalt für sie ist.
Spaß beiseite, natürlich ist mir klar, dass mir Bernd nie antworten wird und es sich bei diesem mittlerweile Running Gag in meiner WG um einen lustigen Versuch handelt, etwas Humor in unser Leben und die derzeitige Situation zu bringen. Am Anfang habe ich das alles für nicht so schlimm befunden- erst als ich 5 Tage früher etwas panisch aus meinem Urlaub zurück gekommen bin wurde mir der Ernst der Lage etwas bewusst.
Die verordnete Heimquarantäne von zwei Wochen machte mir keine Sorgen, bis mir klar wurde, dass ich nicht einmal raus gehen darf, um den Müll weg zu werfen. So einen Einschnitt in mein selbstbestimmtes Handeln hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Seit ich vor 12 Jahren von zu Hause ausgezogen bin hatte ich das Gefühl, mich immer frei bewegen zu können. Und zack- plötzlich war bzw. ist das nicht mehr möglich (auch nach der Quarantäne). Manchmal erwische ich mich bei Gedanken wie „Heute könnte ich doch in die Stadt gehen“, erst nach einigen Sekunden wird mir klar, dass das nicht geht- kein in die Stadt gehen, kein Kaffee trinken mit Freunden, kein nach Hause zur Familie fahren, kein Pub gehen am Abend. Auch merke ich, dass ich mir zunehmend Sorgen mache, beispielsweise um meine Oma. Als mir eine Freundin erzählte, dass ihre Großmutter im Krankenhaus ist und sie sie nicht besuchen darf wurde mir ganz mulmig beim Gedanken, dass dieses Szenario auch in meinem Leben vorstellbar wäre. Das Gefühl, dass das wohl am besten beschreibt ist Angst. Ebenso die Unsicherheiten zurzeit machen mir Angst, eigentlich weiß ich nicht wann ich wieder arbeiten gehe. Oder ob ich wieder arbeiten gehe.
Aber ich merke auch andere Dinge, wie beispielsweise, dass ich seit 3 Wochen jeden Tag ausschlafe. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich dass das letzte Mal über so einen langen Zeitraum gemacht habe. Ich sitze stundenlang mit meiner Mitbewohnerin beim Frühstück, rufe Menschen an, von denen ich schon lange nichts gehört habe und werde angerufen. Ich lasse mir Zeit beim Telefonieren, habe nicht das Gefühl, dass ich schnell auflegen muss weil ich ja noch dieses und jenes erledigen sollte- denn realistisch gesehen reicht es auch völlig aus, wenn ich das morgen mache. Ich sitze im Garten und genieße die Sonne, habe viele kreative Projekte nebenbei laufen. Ich habe das Gefühl, meinen Rhythmus zu leben wieder zu finden. Ich genieße es, endlich alles wieder einmal langsam und entspannt zu machen. Viel zu oft bin ich in den letzten Monaten von einem Termin zum nächsten geeilt, habe Freunde wie Termine abgehackt und auch beispielsweise Kochen als ein ToDo angesehen. Das passiert momentan nicht, ich genieße viel mehr und schaffe es sogar, jeden Tag Joga zu machen. Zudem merke ich auf diversen sozialen Plattformen einen Zusammenhalt, den ich so schon lange nicht mehr beobachtet habe. Fast täglich fällt mir der blaue Himmel auf und wie ungewohnt es ist, dass keine Flugzeuge zu sehen sind. Und wie Bernd mehr Blätter bekommt.
Was ich am meisten vermisse und mir am meisten wünsche sind ein paar Stunden mit meiner Familie und meinen Freunden. Ich würde gerade nichts lieber tun, als mit ihnen bei Kaffee oder Bier in der Sonne zu sitzen. Ohne mir Sorgen darüber zu machen, wie oft ich mir schon ins Gesicht gegriffen habe oder wen ich anstecken könnte. Ich weiß, dass der Moment kommen wird und ich freue mich schon unglaublich darauf. Denn- das ist mir in dieser Zeit wieder einmal mehr bewusst geworden- genau das ist es, worauf es im Leben ankommt. Zeit mit Menschen zu verbringen, die man liebt.